Der Mann weiß wovon er spricht. Wenn die „Gorch Fock“ Bremerhaven zur SAiL 2025 anläuft, dann wird Michael Gerber als Veranstaltungsleiter des internationalen Windjammerfestivals gewissermaßen von der Vergangenheit eingeholt. Und von den Bildern, die sich ihm vor über 40 Jahren als jungen Wehrpflichtigen in das Gedächtnis eingraben haben: Unter Vollzeug durch die Biskaya, begleitet von einem Schwarm Delfine.
Ausguck auf der Back, der morgendliche Hängemattenapell, die Arbeiten als Toppgast im Fockmast des Segelschulschiffs, die Taufe „Wendekreis des Krebses“, die große Aufmerksamkeit, die man in seiner weißen Ausgehuniform von den Menschen in allen Hafenstädten erfahren hat – das ist es, was ihn noch heute beschäftigt.
Als Geschäftsführer der Erlebnis Bremerhaven GmbH ist Gerber schon längst zur Landratte geworden, doch während seiner neun Monate als Wehrdienstleistender hat er auf der „Gorch Fock“ ein feines Gefühl dafür entwickelt, was die Faszination vieler Menschen von den Windjammern ausmacht. Aber auch dafür, wie der oftmals harte Alltag hinter den schönen Bildern aussieht.

Mit Wurzelbürste und Scheuerpulver an Deck
Beim Hervorkramen der Devotionalien seiner jugendlichen Affäre mit der Segelschifffahrt wurde das alles wieder lebendig. Der nasskalte Januartag, als er 1984 in Kiel mit 20 Jahren zum ersten Mal das Deck der „Gorch Fock“ betrat. Eine Wurzelbürste und Scheuerpulver bekam er in die Hand gedrückt: als allererste Tätigkeit durfte er mit dem eisigen Wasser aus der Kieler Förde die Farbe an den Aufbauten „waschen“. Aber Gerber bewies schon bald ein Talent für die Arbeit in großer Höhe. Die Abwesenheit von Höhenangst verschaffte ihm die dafür nötige Sicherheit. „Als Toppsgast und Teil der Backboard I-Crew habe ich am Fockmast ausschließlich im Rigg gearbeitet“, erzählt er, „gerne in großer Höhe.“ Gesichert mit zwei Tampen an Karabinerhaken.
Crewaustausch mit der „Sagres II“
Und dann ging es im April 1984 los, von Kiel durch den Nord-Ostsee-Kanal nach Teneriffa, über den Atlantik in die Karibik zum Inselstaat Antigua, Richtung Norden nach Boston und Quebec. Von Quebec nach Sydney (Nova Scotia) hatte Gerber zusammen mit einigen Kameraden die Möglichkeit, im Rahmen eines Crewtausches eine knappe Woche auf der „Sagres II“ mitzusegeln. „Auf der, Gorch Fock‘ mussten wir in unseren Dienstschuhen peinlich genau darauf achten, mit den Hacken keine schwarzen Striche auf dem Deck zu hinterlassen. Auf der Sagres II haben sie an Deck Fußball gespielt.“ Das portugiesische Schwesterschiff der „Gorch Fock“ wird ebenfalls bei der SAiL zu Gast sein und im Neuen Hafen festmachen. Ein weiteres Dejá vu für den Erlebnis-Chef.
Beinahe wäre es ein Schmetterling geworden – als Tattoo
Gut vier Monate und 13.430 Seemeilen später lief die „Gorch Fock“ über Nova Scotia, Liverpool, Skagerrak und Kattegat wieder in den Heimathafen Kiel ein. Gerber hat in dieser Zeit die nicht unbedingt seemännischen, gleichwohl klassischen Erfahrungen einer langen Seefahrt gemacht. Zum Beispiel, wie man im Bordell in Antigua auch ohne Inanspruchnahme von Liebesdiensten noch ein paar Drinks bekam, wenn die Hotelbars schon lange geschlossen hatten. Beinahe hätte er sich sogar ein Tattoo stechen lassen, einen Schmetterling. Aufgrund der Teilnahme an einer Parade am letzten Tag stand für den Tätowierer am Ende nicht mehr genügend Zeit für das Motiv zur Verfügung.
Sänger der Bordband
Als Sänger der Bordband gehörte es für Gerber zur Routine, vor dem Auftritt noch eine filterlose Zigarette zu rauchen und einen Cognac zu kippen, damit die Stimme das richtige Timbre bekam. „Wir haben unter Deck zwischen Klorollen und Reinigungsmitteln geprobt“ berichtet er. Doch mit den klassischen Shanties habe die Band nichts am Hut gehabt. Stattdessen gehörten Stücke von Westernhagen zum Repertoire. „Mitten auf dem Atlantik ohne Wind ist die Crew froh über jede Abwechslung und wird zu einem dankbaren Publikum, das mitsingt und Spaß hat“, erinnert sich Gerber lachend.
Gerber: Die „Gorch Fock“ ist kein Feriencamp
Die schönen Erinnerungen und die Romantik sind eine Seite der Medaille. „Man darf aber nicht vergessen, dass das Segelschulschiff ,Gorch Fock‘ eine schwimmende militärische Einheit ist“, sagt Gerber. „Die Leute sind nicht alle aus freien Stücken dort. Das ist kein Feriencamp. Und angesichts fehlender Rückzugsmöglichkeiten, nach Dienstschluss das Schiff auf hoher See nicht verlassen zu können, kommt es auf engstem Raum auch zu allen Formen zwischenmenschlicher Auseinandersetzungen.“
„Hand gegen Koje“
Die See und die Segelschifffahrt ließen den gebürtigen Hamburger auch nach seiner Zeit bei der Marine nicht los. Als Student in Bayreuth (Wirtschafts-Geografie und Regional-Ökonomie) heuerte er während der Semesterferien nach dem Prinzip „Hand gegen Koje“ auf der „Thor Heyerdahl“ an. Er wirkte daran mit, dass Trainees des Schiffes an Bord Selbstständigkeit und Verantwortung für andere zu übernehmen lernen. Gerber lernte dort seine spätere Frau kennen.
Als Gastgeber des größten Windjammertreffens an der deutschen Nordseeküste ist solch eine Biografie natürlich schwer zu toppen. Und wer weiß? Vielleicht zieht es den Veranstaltungsleiter in den nächsten Tagen ja doch noch einmal nach ganz oben. In die Masten der „Gorch Fock“. Da wo alles begann.




















